GLOBALISIERUNG IM MÜNSTERLAND
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Der Dorfbewohnerschaft ist man als Zivi sofort bekannt, weil man als einziger Unbekannter natürlich sofort allen bekannt ist. Wer zwei Mal auftaucht, muss der neue Zivi sein, weshalb man entweder sofort als Zivi gegrüßt oder von älteren Herren als Verpisserschwein angebrüllt wird. Vaterlandsverräter. „Aber ihr werdet schon noch sehen“. Jaja, wenn die Russen einfallen und unsere Frauen und Kinder ausrauben.
Erwin hatte Verständnis für uns. Das Ende des Kalten Krieges war schon bis zu ihm vorgedrungen, wenngleich „Russkis“, die „Franzköppe“ und die „Inselaffen“ ihm genau so suspekt waren wie die „Schluchtenscheißer“ (Österreicher) unsympathisch. Wir bekamen regelmäßige Aufklärungsmonologe über das echte, das wahre Leben! „Schnaps? Der ist gut, der räumt den Magen auf“. Gut, nach einem fett-triefenden Hahn und seiner Portion Pommes-Majo war der wirklich hilfreich. Und seine Belehrungen über die Welt wurden auch erträglicher. Aber es war immer sehr entspannend bei ihm, die Globalisierung war noch nicht hier angekommen und seine folkloristisch wirkenden Vorträge gaben einem immer ein Gefühl von Geborgenheit. Nach einer Currywurst-Pommes-Sitzung wusste man, dass die Welt noch wieder in Ordnung kommt, dass man mit Erwins Weisheiten und Lehrsätzen alle Schwierigkeiten des Lebens meistern würde. Ja, man glaubte fast, dass seine Frau das Ozonloch ebenso meisterlich stopfen würde wie die Löcher in seinem Kittel.
Doch die Globalisierung ist gnadenlos. Als ich nun Jahre später auf das Dorf zusteuere, fällt mir von weitem das hell erleuchtete Schild am Eingang auf: Gianni’s Snackbar. Mit Deppenapostroph.
Beim Einparken werde ich schlagartig in eine Realität zurück geholt, die ich hier in der Abgeschiedenheit des Münsterlands niemals erwartet hätte. Die alte Holztheke mit einer grün furnierten Fläche, auf der immer der Kurze nach dem Essen stand, ist einer hochglanzpolierten VA-Theke gewichen, neben einem Gyrosspieß stand ein Pizzaofen, auf der Speisekarte waren ebenso verwerfliche Produkte wie Burger oder Baguette, und dazwischen: richtig und nicht meine Worte, ein Spaghettifresser!
(Jens)
doppelblogg - 14. Januar, 19:42